Buch­tipp: Hanns-Josef Ort­heils “Die Erfin­dung des Lebens”

Und wie­der ist mir ein lite­ra­ri­scher Lecker­bis­sen in die Hän­de gefal­len, dies­mal durch eine Emp­feh­lung aus mei­ner Fami­lie: Hanns-Josef Ort­heils “Die Erfin­dung des Lebens”.

Abso­lut fes­selnd beschreibt Ort­heil in sei­nem auto­bio­gra­fi­schen Roman sei­ne erst zwan­zig Lebens­jah­re, von denen er eini­ge sei­ner Kind­heit völ­lig stumm ver­brach­te, in einem extrem engen Ver­hällt­nis zu sei­ner Mut­ter, die eben­falls, aller­dings durch ein psy­chi­sches Trau­ma, die Stim­me ver­lo­ren hat­te. Gera­de­zu beklem­mend schil­dert Ort­heil, wie sein Alter Ego Johan­nes Catt der Mut­ter nicht von der Sei­te weicht. Teils tut er dies unbe­wusst, um sie zu schüt­zen, teils ent­deckt er, wie er selbst als nicht Spre­chen­der sich mehr und mehr von ande­ren Kin­dern iso­liert, die mit ihm nicht spie­len kön­nen und wol­len. Gleich­zei­tig ent­deckt er das Kla­vier­spiel als ers­te Mög­lich­keit, sich auszudrücken.

Der Schul­an­fang, die ers­te grö­ße­re Tren­nung von der Mut­ter, wird zum Fias­ko, da der Leh­rer mit der beson­de­ren Situa­ti­on eines “behin­der­ten” Kin­des nicht umge­hen kann. Damit wirft Ort­heil bereits ein Schlag­licht auf das The­ma Inte­gra­ti­on oder Inklu­si­on und damit ver­bun­de­ne Pro­ble­me. So wie in jeder Kri­se eine Chan­ce steckt, erkennt hier der Vater, was zu tun ist. Er ist bis­her, dem Rol­len­ver­ständ­nis der 1950er ent­spre­chend, im Wesent­li­chen auf sei­nen Beruf bezo­gen wenig prä­sent, stellt aber fest, dass die enge Bezie­hung zur Mut­ter hier eher scha­det und glaubt an die Fähig­kei­ten sei­nes Soh­nes. Er geht mit ihm vor­über­ge­hend aufs Land, und dort voll­zieht sich ein Wan­del in dem Jungen.

All die­se Erin­ne­run­gen bis hin zur musi­ka­li­schen Aus­bil­dung in Rom beschreibt Ort­heil, immer wie­der ver­setzt mit Ein­blen­dun­gen aus der Zeit, in der der Roman in Rom entsteht.

Wer also ger­ne liest, welch erstaun­li­che Ent­wick­lungs­po­ten­zia­le der Mensch trotz anfäng­li­cher Hin­der­nis­se hat, welch fas­zi­nie­ren­de Kraft man­che Lebens­läu­fe zei­gen, soll­te sich Ort­heils Buch nicht ent­ge­hen las­sen. Leh­re­rin­nen und Leh­rern lege ich es sowie­so ans Herz.